Mit RB Leipzigs neuerlichem Triumph im DFB-Pokal ist der Klub endgültig im Establishment angekommen. Ein Großteil der Fans reagiert darauf.Rund 75.000 Zuschauer im Stadion, sechs Millionen Menschen vor den Fernsehern und bestimmt noch einige an den Radiogeräten. Eine Menge Leute, die das Pokalfinale der Männer zwischen Eintracht Frankfurt und Rasenballsport Leipzig sehen wollten. Wegen RB dürften jedoch die wenigsten dabei gewesen sein. Und das ist ein Problem.Sechs Millionen TV-Zuschauer sahen das Duell. Für das übertragende ZDF bedeutete das einen Marktanteil von 27,7 Prozent. Eine miserable Quote. Auffallend dabei: In den vergangenen Jahren sank das Zuschauerinteresse beständig – und das hat auch mit RB Leipzig zu tun.Der Klub stand in allen Pokalendspielen der vergangenen drei Jahre: Schalteten beim Triumph des BVB 2021 noch 9,5 Millionen Fans ein, waren es bei Leipzigs erstem Pokalsieg 2022 im Endspiel gegen Freiburg 8,1 Millionen. Nun also nur noch sechs Millionen, die Leipzigs Titelverteidigung anschauen mochten. So geht Abschwung. Eine Entwicklung, die sich viele Beobachter lange gewünscht habenLeipzig scheint zum Opfer seines eigenen Erfolges zu werden. Je mehr der kühl kalkulierte Businessplan der Red-Bull-Botschafter in Sachsen aufgeht, desto mehr wendet sich ein Großteil der Fans von den Spielen mit Leipziger Beteiligung ab. Jener Teil, der den Fußball vor allem wegen seiner Unberechenbarkeit, seiner überraschenden Triumphe, aber auch wegen seiner Unzulänglichkeiten und Rückschläge liebt. Kurzum: wegen des Dramas.Drama ist in der Markenkampagne des Klubs nicht vorgesehen. In der Außendarstellung versucht RB zu vermeiden, mit dem Getränkeimperium Red Bull in Verbindung gebracht zu werden, will als ganz normaler Fußballverein wahrgenommen werden. Der Klub setzt darauf, dass mit der Zeit und den Erfolgen die Bindung an die Fans vertieft und die Basis der RB-Anhänger breiter werden wird. Es sind die klassischen Parameter der Markenbildung, die der im Wesentlichen von gewieften Unternehmensberatern und Verkaufsspezialisten geführte Klub anwendet.Und auch wenn das manche nicht gerne hören, Leipzig macht dabei vieles richtig. Der Verein schmeißt nicht mit Geld um sich wie andere neureiche Klubs. Er entwickelt Talente weiter. Und er spielt sportlich auf konstant hohem Niveau.Spiele der Retortenklubs sind keine StraßenfegerDamit steht RB für eine Entwicklung, die Branchenbeobachter schon seit Jahren auch von dem ein oder anderen Traditionsverein einfordern: eine stärkere sportliche und wirtschaftliche Professionalisierung.Denn die lässt bei einigen Klubs immer noch zu wünschen übrig – prekär gerade vor dem Hintergrund der internationalen Konkurrenz, die der Bundesliga zunehmend zu enteilen droht. Wie zum Beweis spielen der traditionsreiche VfB Stuttgart und der nicht minder ruhmreiche Hamburger SV heute Abend in der Relegation. Insofern verbietet sich eigentlich jeglicher Neid auf die Rasenball-Kicker. Dennoch trägt das Erfolgsmodell aus der Red-Bull-Schmiede einen entscheidenden Makel. Schlicht deswegen, weil der Klub vielen Fußballfans in Deutschland inzwischen offenbar egal ist. Leipzig polarisiert nicht mehr, sondern ist angekommen im Establishment. RB gehört dazu, so wie andere Retortenklubs, die früher mal für einen Aufreger gut waren. Je öfter die Leipziger einen Pokal in die Höhe stemmen, desto seltener gibt es Schmähgesänge, Hooliganattacken und Hassplakate. Gut so.Und dennoch scheint es paradox, denn Indifferenz ist das Schlimmste, das den Sachsen passieren kann, die Höchststrafe für den Musterschüler. Auch deshalb bleiben die Zuschauer weg. Nicht nur im Pokal. Wird wohl noch dauern, bis RB die Herzen zufliegenFragt man unter traditionell orientierten Fußballfans, ergibt sich ein klares Bild: Beim Fachportal transfermarkt.de landet RB abgeschlagen auf dem letzten Platz im Beliebtheitsranking. Bei den TV-Quoten in der Liga kamen die Sachsen laut einer Analyse der „SportBild“ zur Saisonhalbzeit nur auf Platz elf.In der jüngsten Auswertung der Firma SLC-Management, die auch Faktoren wie Markenattraktivität, Social Media, Fanbedürfnisse oder Management einbezieht, kommt RB immerhin auf Rang acht, hinter Konkurrenten wie Gladbach, Frankfurt oder Köln. In der Regel sind Leipzig-Spiele im TV keine Straßenfeger (das gilt übrigens auch für die Spiele von Werksvereinen wie Bayer Leverkusen und dem VfL Wolfsburg oder dem anderen Retortenklub in der Liga, der TSG Hoffenheim). Sportlicher Erfolg und Akzeptanz unter den Fans sind inkongruent.Und es wird wohl auch noch eine ganze Weile dauern, bis RB die Herzen zufliegen.