Eine braune Flut fließt durch die südukrainische Stadt Cherson. Nach dem Bruch des Staudamms stehen viele Menschen vor den Trümmern ihrer Existenz.Cherson in der Ukraine: Die 52-jährige Iryna steht mit ihren Nachbarn am Ufer des Dnipro und schaut fassungslos auf die Wassermassen, die über die Stadt hereinbrechen. Die Bewohner fürchten das Schlimmste, seit flussaufwärts der Staudamm von Kachowka in der Nacht zum Dienstag teilweise zerstört wurde und die Fluten des Dnipro in ihre Stadt vordringen. Viele stehen vor den Trümmern ihrer Existenz. Sie verwünschen Russland.Rund 17.000 Menschen sollen auf ukrainischer Seite ihre Häuser verlassen, unter ihnen auch Iryna. „Wir haben keinen Strom, kein Gas, kein Wasser“, sagt die Frau weinend. „Unsere Gemüsegärten sind überschwemmt.“ Die 52-Jährige sorgt sich, dass die Katastrophe noch größere Ausmaße annehmen könnte.Nach der Besatzung kam die FlutCherson war von Beginn an einer der Hauptschauplätze des Krieges. Von März bis November 2022 war die Stadt am Westufer des Dnipro von russischen Truppen besetzt, bis die Ukraine sie zurückeroberte. Seither ist sie immer wieder unter schwerem Beschuss. Daher reagiert jetzt auch kaum noch jemand auf den Klang einer Sirene, die in der Ferne einen Luftangriff ankündigt.“Neun Monate lang waren wir besetzt, jetzt haben uns die verdammten Besatzer noch überflutet“, sagt Iryna. Auch die Krankenschwester Switlana macht die russische Armee für die Überschwemmung verantwortlich. Sie sei jetzt noch „hasserfüllter und wütender“, sagt sie. Beide Frauen fragen sich, ob sie je in ihre Häuser werden zurückkehren können.“Wir werden Probleme haben, wenn das ganze Wasser wieder weg ist“, sagt die 56-jährige Switlana. „Wie kann alles wieder hergerichtet werden, wie wird das funktionieren? Wie werden wir hier wieder leben? Ich kann mir das nicht vorstellen.“ Ein anderer Bewohner, Serhij, ist noch pessimistischer. „Hier wird alles sterben“, sagt er. „Alle Lebewesen und die Leute werden hier weggeschwemmt.“Bewohner versuchen Habseligkeiten zu rettenWährend das schlammige Wasser über die Böschungen und Straßen schwappt, packen die Menschen eilig ihre Habseligkeiten zusammen, um sich auf die Evakuierung vorzubereiten. Ljudmyla steht neben ihrem Haus an einem Wohnwagen, in dem sich ihre Sachen und eine Waschmaschine befinden. „Wir bringen unseren Besitz weiter hoch“, sagt sie. Die Russen, sagt sie, müssten „verjagt“ werden. „Sie schießen auf uns.“Manche Bewohner haben sich auf Überführungen und Eisenbahnbrücken versammelt und schauen auf das braune Wasser unter ihnen. Von dort aus können sie am ehesten beobachten, wie hoch der Wasserspiegel ist. Konstantin schätzt, er sei mindestens drei Meter gestiegen. Und jemand namens Viktor sagt: „Die Flut kommt. Das kannst du genau sehen.““Menschen wollen so schnell wie möglich nach Hause“Überall in der Stadt sind Rettungsteams in kleinen Booten und wassertauglichen Amphibienfahrzeugen unterwegs, um vor allem kleine Kinder und ältere Menschen zu erreichen.Manche der Bewohner tragen nichts weiter als ihren Pass bei sich. „Die Menschen schicken uns – wenn möglich – ihre Standortdaten zu, und wir holen sie und ihre Haustiere ab“, sagt der 38-jährige Polizist Sergij, einer der Koordinatoren des Rettungseinsatzes, an dem sich Polizisten, Notfallsanitäter und Soldaten beteiligen. Manche Bewohner warten nicht auf die Helfer, sondern waten und schwimmen durch die Fluten, um sich in Sicherheit zu bringen. Ein Mann paddelt auf einer aufblasbaren Matratze.“Wir sind an diese Explosionen gewöhnt, wir kümmern uns nicht darum“, sagt der Familienvater Melnikow. Er hat beschlossen, die Stadt zu verlassen. „Wir leben hier seit Beginn des Krieges, wir haben die Besatzung überstanden, aber nun haben wir kein Haus mehr, keine Arbeit, nichts. Wir wollen nicht gehen, aber was können wir tun? Wir können hier nicht mit den Kindern bleiben.“Freiwillige bringen Familien zum Busbahnhof, wo einige von ihnen in einen Bus in die benachbarte Stadt Mykolajiw steigen. Einige Anwohner haben die Stadt schon mit dem Zug verlassen. Die Menschen wollten nicht weit weg gehen, sagt der 34-jährige Sergij Trofimow, einer der Freiwilligen der Hilfsmission Proliska. „Die Menschen wollen so schnell wie möglich nach Hause.“