[ad_1]


Äthiopien
:
Das Land der Bierbrauer

Dürre, Armut, Kaffee – drei Begriffe, die schnell mit Äthiopien in Verbindung gebracht werden. Was viele jedoch nicht wissen: In dem ostafrikanischen Land gibt es eine jahrhundertealte Tradition – das Bierbrauen.

Mesele Aregehey ist stolz. Er hat soeben eine Kneipe eröffnet. Ein letztes Mal rückt er die rote Metallbüchse auf dem Holzstab vor seinem Elternhaus zurecht. Sie signalisiert: Hier gibt es Bier. Solange der Vorrat reicht. Ist das Bier aufgebraucht, schließt seine Kneipe wieder. Und verwandelt sich zurück in die kleine Hütte am Rande der Stadt Axum im Norden Äthiopiens.

Diese Pop-up-Kneipen sind in Äthiopien keine Seltenheit. Wer durch die vielen Dörfer und kleineren Städte des ostafrikanischen Landes streift, dem springen die vielen Holzpfähle mit bunten Bechern oder Stofffetzen vor den Häusern sofort ins Auge. Die farbenfrohen Hütchen sind keine Deko – sie kennzeichnen eine Kneipe. Eine, die nur vorübergehend existiert. Denn viele Äthiopier brauen ihr eigenes Bier und verkaufen es anschließend für etwa fünf Birr (umgerechnet zwölf Cent) bei sich zu Hause.

Das selbst gebraute Bier hat viele Namen – denn in Äthiopien gibt es mehr als 80 unterschiedliche Sprachen und jede davon bezeichnet ihr Bier anders. In der Amtssprache Amharisch heißt das Bier Tella; im Süden des Landes spricht man wiederum von Farso. In der Region Tigray hingegen, in der Mesele seine Pop-up-Kneipe eröffnet hat, wird es Sewa genannt. Doch sie alle haben etwas gemeinsam: Sie gehören zu den ältesten Getränken des äthio­pischen Hochlands und sind fester Bestandteil der äthiopischen Kultur.

Obwohl die Verhältnisse in dem ostafrikanischen Land und insbesondere in den ländlichen Regionen sehr ärmlich sind, lassen sich die Menschen ihr selbst gebrautes Bier nicht nehmen – denn für sie ist es weitaus mehr als ein einfaches Getränk. Die Umarmung von Verwandten, der neueste Tratsch aus dem Dorf, das gemeinsame Lachen mit den Nachbarn – Tella verbindet. Das Bier dient somit nicht nur dem Verkauf, sondern erfüllt vor allem einen sozialen Zweck. Egal, ob Feste wie Weihnachten oder ganz einfach der Besuch guter Freunde – fast jede Familie braut zu diesen besonderen Anlässen Bier für sich und ihre Gäste.



 In Äthiopien gibt es acht offizielle Brauereien und unzählige Privathaushalte, die ihr Bier selbst brauen und verkaufen.


In Äthiopien gibt es acht offizielle Brauereien und unzählige Privathaushalte, die ihr Bier selbst brauen und verkaufen.
Foto: Sarah Nadler

So auch Meseles Großmutter Asede. Gespannt lauscht sie auf die ersten Nachbarn, während sie dem schwarz-braunen Gemisch noch etwas Wasser zusetzt. In einem großen Topf hebt die 83-Jährige die Masse immer wieder mit Wasser unter, bis das Getränk flüssig genug ist. Lokales Bierbrauen ist in Äthio­pien Frauensache – das Biertrinken hingegen hauptsächlich Aufgabe der Männer.

Die Zubereitung ist zwar einfach, doch die Gärung kann bis zu einer Woche dauern. Neben Wasser dienen die Getreidearten Teff und Sorghum als Grundzutaten. Teff wird fast ausschließlich in Äthiopien angebaut. Das glutenfreie Supergetreide ist Hauptbestandteil vieler Lebensmittel, wie etwa dem Nationalgericht Injera – eine Art Pfannkuchen, der mit Fleisch und Gemüse serviert wird. Zur Gärung dienen „Gesho“, die Blätter des Afrikanischen Faulbaums. Rechtliche Vorgaben gibt es beim Tella-Brauen nicht – jeder kann brauen wie und wann er will. Daher schwanken je nach Haushalt Alkoholgehalt und Geschmack.

Der europäische Gaumen allerdings gewöhnt sich nur langsam an dieses spezielle Aroma. Kein Wunder: Schließlich wird Tella häufig komplett ungefiltert serviert. Von der Qualität des Wassers ganz zu schweigen – es ist oft verkeimt und beschert daher vielen Touristen ordentliche Magenpro­bleme. In der kleinen Steinhütte unweit von Axum scheint dieses Pro­blem hingegen nicht zu existieren. Die ersten Gäste haben sich versammelt und Großmutter Asede schenkt das Bier in alte Mandarinen-Konservendosen. Obwohl Tella traditionell aus Kalebassen – ausgehöhlten und getrockneten Flaschenkürbissen – getrunken wird, greifen die selbst ernannten Bierbrauer inzwischen meist auf einfache Metallbüchsen und Plastikbecher zurück. Doch unabhängig vom Gefäß scheint Asedes Bier hier allen gut zu schmecken, denn es wird ausgiebig gelacht und geplaudert – und das vermutlich noch den ganzen Abend über. Denn für gewöhnlich verweilen die Gäste hier noch etwas, trinken zusammen und erzählen sich die neuesten Geschichten aus dem Dorf.

Dabei wird Tella keinesfalls nur in Privathaushalten getrunken. In dem christlich geprägten Land ist das Getränk auch in der Kirche gern gesehen und wird hin und wieder sogar als Weihwasser verwendet; Gläubige lassen es vor dem Konsum von den Priestern segnen. Wer dabei große Rituale erwartet, wird allerdings enttäuscht: Das Bier gibt es auch hier meist aus Plastikbechern oder Konservendosen. Die Mitglieder des Oromo-Stamms im Süden Äthiopiens setzen das Bier auch gerne als Trankopfer ein, indem sie es über ein geweihtes Objekt vergießen.

Neben dem selbst gebrauten Bier gibt es in Äthiopien aber auch industriell hergestelltes Bier. Zu den bekanntesten Marken zählen St. George, Walia, Amber, Dashen und Meta, wobei einige von ihnen zu großen europäischen Brauereien gehören. Das kommerziell gebraute Bier ist allerdings teurer, eine Flasche kostet ungefähr 20 Birr (50 Cent). Das liegt daran, dass die Flasche selbst wertvoller ist als ihr Inhalt – ein Grund, weshalb es auch in Äthiopien Flaschenpfand gibt. Auf dem Land ist das Leergut sogar so wertvoll, dass es häufig nicht mit nach Hause genommen werden darf. Allein dieser logistische Aufwand führt dazu, dass vor allem in ländlichen Regionen mehr Tella getrunken wird.

Das Bier tragen Asedes Gäste an diesem Abend zwar auch nicht mit nach Hause, dafür aber sicherlich ein Lächeln im Gesicht. Während sich die Dunkelheit über das kleine Dorf vor den Toren Axums legt, werden die letzten Tropfen Bier mit der Kelle ausgeschöpft. Die Stimmen und das Gelächter werden leiser, die übriggebliebenen Gäste machen sich angeheitert und gut gelaunt auf dem Heimweg. Großmutter Asede räumt die leeren Dosen beiseite und beginnt, den Topf zu reinigen. Vor dem Haus zieht Mesele derweil den Holzpfahl aus der Erde und lehnt ihn an die Wand. Die Kneipe ist geschlossen. Feierabend für heute.

[ad_2]

Source link

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert