Der erneute und bislang schwerste Sturz des US-Präsidenten offenbart ein Dilemma der Demokraten. Sie sind die Geißeln eines greisen Joe Biden.Wer sich in Washington derzeit mit Demokraten unterhält, der bekommt schnell ein Gespür dafür, was eigentlich alle wissen, aber keiner offiziell aussprechen will: Joe Biden, der amtierende US-Präsident, sollte nach der Meinung vieler Demokraten eigentlich nicht mehr antreten. Deutlich wird das durch ein vielsagendes, donnerndes Schweigen der Partei.Selbst nach dem verhängnisvollen, inzwischen dritten öffentlichen Sturz von Joe Biden in diesem Jahr, geschehen bei der Abschlussfeier an einer Militärakademie in Colorado Springs, hört man von den Demokraten keine Kritik. Der 80-jährige US-Präsident, der mächtigste Mann der Welt, fällt, krabbelt unbeholfen auf allen Vieren und lässt sich nur mithilfe eines Militärs wieder auf die Beine bringen.Doch angesprochen auf den neuerlichen Sturz des US-Präsidenten, verzog etwa der Mitarbeiter eines demokratischen US-Abgeordneten am Donnerstag nur genervt seine Miene. Sagen mochte er zu dem Vorfall lieber nichts. Stattdessen zuckte er mit den Schultern. Unter der Hand halten viele Demokraten die neuerliche Kandidatur Bidens für ein Desaster.Dauernde Demütigungen im WahlkampfPassiert ist Biden bei dem Stolpern über einen Sandsack, der auf der Bühne lag, offenbar nichts. Danach scherzte er im Gespräch mit einigen Reporter sogar noch: „I got sandbagged“ (zu Deutsch in etwa: „Ich wurde gesandsackt“). Immerhin, mit Selbstironie kann der 80-Jährige weiterhin punkten.Tatsächlich standen in Colorado zwei kleine schwarze Sandsäcke auf der Bühne zum Beschweren des Teleprompters, den Biden wie üblich zum Ablesen seiner Rede verwendete. Der Ausdruck „to get sandbagged“ hat im Amerikanischen zugleich aber eine besondere Bedeutung. Es bedeutet, jemanden vor einer Menschenmenge zu demütigen.Videos dieser Szene verbreiten sich seither auf der ganzen Welt. Die Republikaner schalten in den Angriffsmodus und ziehen die Gesundheit und damit die Eignung Joe Bidens für das Weiße Haus einmal mehr in Zweifel. Endlose Video-Zusammenschnitte seiner inzwischen zahlreichen Stürze werden in den berüchtigt gnadenlosen, amerikanischen Wahlkämpfen überall auftauchen.Vor einem Jahr etwa war Biden vom Fahrrad gefallen. Auch diese Szene verbreite sich damals rasend schnell und wird seither immer wieder von seinen politischen Gegnern hervorgeholt.Da hilft es auch nichts, dass der US-Präsident bei seiner Ankunft in Washington am Donnerstag vor den Journalisten bekundete, er sei topfit, und dann so tat, als würde er quasi hüpfend zurück ins Oval Office kommen.Biden hält sich für unersetzlichDas Problem liegt tiefer und kann für Biden und die Demokratische Partei zu einem echten Makel für die Präsidentschaftswahlen 2024 werden. Dass der US-Präsident in seinem hohen Alter noch einmal antritt, liegt vor allem daran, dass er sich für unersetzlich hält. Biden glaubt, dass nur er die Herausforderungen dieser Zeit noch bewältigen kann – ob Russland und die Ukraine, China und Taiwan, das Klima und ganz vorne der Kampf für den Erhalt der Demokratie und gegen Trumps Maga-Republikaner. Biden hat seiner Meinung nach alles im Griff.Zwar ist in Washington ein offenes Geheimnis, dass das Versagen seiner Stellvertreterin Kamala Harris in ihrem Amt als Vizepräsidentin vor allem ihr selbst und ihrer chaotischen Mitarbeiterführung zu verdanken ist. Aber Joe Biden gibt Harris auch sehr wenig Raum, an seiner Seite zu glänzen. Zwar standen amerikanische Vize-Präsidenten schon immer im Schatten. Bei Harris aber bleibt neben Biden wirklich gar keine Sonne übrig.Kein Platz für AlternativenDas Problem von Harris steht damit nur stellvertretend für die gesamte demokratische Partei: Solange Joe Biden keine anderen starken Politiker neben sich duldet, bleibt er tatsächlich alternativlos. Die Demokraten sind damit gewissermaßen die Geißeln eines Greises.Denn die Gefahr, den eigenen Präsidenten öffentlich anzuzweifeln oder gar anzugreifen, könnte sie schließlich den Wahlsieg gegen die Republikaner kosten, zumal die Zeit knapp werden dürfte, einen Kandidaten innerhalb der Partei zu finden, der mit Biden ernsthaft konkurrieren könnte. Mögliche Anwärter wie der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom oder Michigans Gouverneurin Gretchen Whitmer wären eigentlich aussichtsreich. Vorgewagt haben sich bei den Demokraten bislang aber nur einige Irrläufer, wie der Verschwörungsideologe Robert F. Kennedy oder die Selbsthilfe-Autorin Marianne Williamson.Trumps Geschick, Bidens UnglückDer aussichtsreichste Republikaner verhielt sich nach Bidens Missgeschick derweil taktisch äußerst klug. Von offensichtlicher Häme war bei einem Wahlkampfauftritt von Donald Trump im Bundesstaate Iowa nichts zu merken. Angesprochen auf Bidens Sturz sagte Trump: „Ich hoffe, er wurde nicht verletzt.“Stattdessen erzählte Trump die Geschichte der eigenen Stärke und wie er sich auf einer vollkommen vereisten Bühne einst auf Zehenspitzen extrem vorsichtig fortbewegt habe. Dass Biden ausgerechnet bei einer Militärakademie gestürzt sei, das sei hingegen „nicht inspirierend“, so der immerhin auch schon 76-jährige Ex-Präsident. Dabei aber beließ er es.Zwar ist Trump nur vier Jahre jünger als Biden. Er überzeugt die Amerikaner hinsichtlich der Altersfrage aber trotzdem mehr als der Amtsinhaber.Laut einer jüngsten Umfrage des Fernsehsenders ABC und der „Washington Post“ hielten 68 Prozent der Befragten Joe Biden für zu alt, um noch eine weitere Amtszeit als Präsident wahrzunehmen. Trump hingegen hielten nur 44 Prozent für zu alt. Er schafft es im Gegensatz zu Biden, sich ein Image von geistiger Schärfe und körperlicher Gesundheit zu bewahren.