Nach langem Streit hat die große Koalition mit der Grundrente ihr zentrales sozialpolitisches Vorhaben auf den Weg gebracht. Rund 1,3 Millionen Bezieher niedriger Renten sollen ab Anfang 2021 einen Aufschlag bekommen. Die vom Bundeskabinett beschlossene Grundrente „macht unser Land ein Stück gerechter“, sagte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bei einem gemeinsamen Auftritt mit Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU).Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Geringverdiener mit mindestens 33 Beitragsjahren ab Januar 2021 einen Zuschlag auf ihre Rente erhalten, der ab 35 Beitragsjahren die volle Höhe erreicht. Voraussetzung für den Bezug der Grundrente ist eine umfassende Einkommensprüfung, aber keine Vermögensprüfung. Um das Vorhaben hatten Union und SPD monatelang gerungen.Heil sagte, es sei ein „Erfolg dieser Koalition, dass wir das gemeinsam hinbekommen haben“. Der Arbeitsminister verwies darauf, dass mit einem Anteil von 70 Prozent vor allem Frauen von der Neuregelung profitieren würden. Seehofer sprach von dem „Baustein, der in unserem Sozialstaat noch gefehlt hat“. Es sei „klassische Solidarität“, langjährig Versicherte besserzustellen. Die rund 1,3 Millionen Anspruchsberechtigten seien eine „sehr vorzeigbare Zahl“ und etwa doppelt so viele, wie es Wohngeldempfänger gebe.Spahn sagte, der Koalition sei „ein guter, ein fairer Gesamtausgleich“ gelungen. Auf Druck der Union wurde eine umfassende Einkommensprüfung in das Gesetz aufgenommen. Spahn hob hervor, dass die Grundrente aus Steuern und nicht aus Beitragsmitteln finanziert werde. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sei „mit überzeugender Zuversicht der Ansicht“, dass rechtzeitig die europäische Finanztransaktionssteuer gelinge, deren Einnahmen in die Grundrente fließen sollen.Heil sagte dazu, es gebe bei der Finanzierung „keine Überlegung für einen Plan B“. Der Arbeitsminister nannte die Umsetzung der Grundrente einen „riesen Kraftakt“. Die Mitarbeiter der Rentenversicherung stünden vor einer „richtig großen Aufgabe“. Vorgesehen ist, dass Geringverdiener die Grundrente nicht selbst beantragen müssen. Durch einen automatischen Datenabgleich mit den Finanzämtern soll ermittelt werden, wer Anspruch darauf hat.Die Deutsche Rentenversicherung sieht den Zeitplan „sehr kritisch“. Die „ganz erheblichen Probleme“ bei der Umsetzung der Grundrente bestünden nach wie vor, hieß es am Mittwoch. Neu hinzugekommen sei der „erhebliche Aufwand bei der geplanten Ermittlung und Überprüfung der Kapitalerträge“. Positiv hervorgehoben wurde, dass die Grundrente in vollem Umfang aus Steuermitteln finanziert werden solle.Unionsfraktionsvize Andreas Jung (CDU) forderte von Scholz Klarheit über die Finanzierung. Solange die Voraussetzungen für die Finanztransaktionssteuer nicht vorlägen, „muss der Finanzminister aufzeigen, wie die Grundrente anderweitig ohne Belastung der Beitragszahler finanziert werden kann“, sagte Jung der „Augsburger Allgemeinen“ (Donnerstagausgabe). Der CSU-Bundestagsabgeordnete Volker Ullrich sagte der Zeitung, bevor die Grundrente vom Bundestag beschlossen werden könne, müssten die offenen Fragen im parlamentarischen Verfahren geklärt werden. Das seien „insbesondere die Fragen des Datenabgleichs und der Finanzierung“.Der FDP-Rentenexperte Johannes Vogel erklärte, die Finanzierung der Grundrente „stammt bisher nur aus dem Märchenbuch des Bundesfinanzministers“. Er kritisierte auch, dass die Einkommensprüfung nur für Ehepaare und nicht für unverheiratete Paare gelte. So würden neue Ungerechtigkeiten geschaffen.Der Sozialverband Deutschland (SoVD) forderte Nachbesserungen, unter anderem den Verzicht auf die Einkommensprüfung. Der Kern des Gesetzes sei aber „gut und richtig“, erklärte SoVD-Präsident Adolf Bauer.Scharfe Kritik äußerte die Linke. Was jetzt beschlossen wurde, sei „ein bürokratisches und stumpfes Schwert im Kampf gegen Armutsrenten geworden“, erklärte ihr Rentenexperte Matthias Birkwald. Statt einer Grundrente liege jetzt eine „Grundsicherung plus“ auf dem Tisch.

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