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Bergbahn
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Im Leiterwagen zu Berge

Seit 150 Jahren rattert Europas älteste Bergbahn am Vierwaldstättersee auf die Rigi: 6,8 Kilometer Strecke und 1300 Höhenmeter mit Zahnrad-Antrieb, die es in sich haben.

Mit lautem Tuten seines Typhons verabschiedet sich der weiße Raddampfer „Unterwalden“ von der Station Vitznau. Seine Schaufelräder lassen eine breite weiße Spur im Wasser des Vierwaldstättersees zurück. Dann liegt die Hektik der Kantonshauptstadt Luzern eine Dampferstunde westlich endgültig in weiter Ferne. Dicht gedrängt schmiegt sich Vitznau an den Südfuß des Rigi-Massivs. Keine Bahn und nur eine schmale Straße erschließt das geschützte Ufer des Weggisbeckens, an dem Wein und Palmen wachsen. Weiter kommt man hier eigentlich nur in der Vertikalen – und in aller Ruhe.

Zum Glück liegt der kleine Bahnhof von Vitznau nur ein paar Schritte entfernt direkt gegenüber vom Anleger. Es ist wie so oft in der Schweiz ein perfekter Anschluss verschiedener Verkehrsmittel. Im Nu sitzt man auf einer polierten Holzbank in einem der leuchtend roten Triebwagen der Rigi-Bahnen. Der rumpelt kaum ein paar Meter eben den Bahnsteig entlang. Schon hebt sich der Zug in die Steillage. Unachtsam abgestellte Koffer purzeln durchs Abteil. Allein auf dem ersten Kilometer bewältigt der Zug 250 Höhenmeter. Das ganze Chassis schüttelt sich und rüttelt sich von Kurve zu Kurve. Draußen grandiose Landschaftstapete zwischen vorbeihuschenden Nadelbäumen. Insgesamt 1317 Höhenmeter liegen zwischen Vitznau und der Station Rigi Kulm kaum fünf Gehminuten unterhalb des Gipfels – und eine Steigung von bis zu 25 Prozent.

Schon im 18. Jahrhundert war die Rigi als Ausflugsziel beliebt. Man kam mit dem Dampfer über den See geschippert, nahm ein Reittier und fürs letzte Stück zwei Träger. 1816 öffnete das erste Gästehaus auf dem Gipfel. Der See, das Mittelland und die Alpen liegen Besuchern von dort zu Füßen und weiter unten sprudeln heilsame Quellen. Ein Massengeschäft ließ sich so allerdings nicht organisieren. 1859 plante ein findiger Unternehmer deshalb Wagons auf Schienen von Gasballons bergwärts ziehen zu lassen. Ein Jahrzehnt später hörte sich auch die Idee des Ingenieurs Niklaus Riggenbach etwas spinnert an. Der Elsässer wollte Lokomotiven mit Hilfe eines gezähnten Rades gewissermaßen das Leitersteigen beibringen. Weil Riggenbach aber schon mehr als 150 Loks erfolgreich aufs Gleis gesetzt hatte und für seine Technik in Frankreich überdies ein Patent besaß, fand er rasch Investoren. Die Aktien für die Rigi-Bahn waren 2,5-fach überzeichnet. 1871 dampfte die erste Bergbahn Europas mit Zahnradantrieb zunächst bis zur Staffelhöhe. Vier Jahre später konnte die Strecke bis zum Gipfel verlängert werden. Technische Gründe gab es dafür nicht. Der Nachbarkanton Schwyz, auf dessen Territorium der Gipfel liegt, hatte vorher schlicht keine Baugenehmigung erteilt.



 Othmar Nietlispach im Depot der Rigi-Bahnen mit einem Stück reparaturbedürftiger Zahnstange


Othmar Nietlispach im Depot der Rigi-Bahnen mit einem Stück reparaturbedürftiger Zahnstange
Foto: Martin Wein

Riggenbachs System war so simpel wie langlebig, dass es bis heute funktioniert. 150 Jahre später sind 70 Prozent der Zahnstangen auf der Rigi im Originalzustand. Die Bahn ist ein technisches Baudenkmal ersten Ranges. Deshalb sollte man nach Möglichkeit vor der Abfahrt auf den Berg bei Othmar Nietlispach im Depot gleich rechts vom Bahnhof vorbeischauen. Hier werden nicht nur abends alle Triebwagen abgestellt. Die Halle ist ein lebendiges Museum der Eisenbahngeschichte. Auf Hochglanz poliert warten hier die restaurierten Waggons aus dem 19. Jahrhundert auf ihren nächsten Einsatz. Zu besonderen Anlässen werden auch die beiden Dampflokomotiven mit schrägstehendem Kessel aus den Jahren 1923 und 1925 noch drei Stunden vor Abfahrt angeheizt. Das ist Techniknostalgie pur, die alte Lokführerträume wieder aufleben lässt. „Aber wir machen das nicht nur aus Tradition“, sagt Nietlispach, der mit über 40 Dienstjahren selbst gewissermaßen zum lebenden Inventar der Privatbahngesellschaft gehört. Viele Vorschriften für den Zugbetrieb seien heute so streng gefasst, dass neue Triebwagen schlicht Unsummen kosteten.



 Die beiden Dampflokomotiven von 1923 und 1925 sind noch voll betriebsbereit.


Die beiden Dampflokomotiven von 1923 und 1925 sind noch voll betriebsbereit.
Foto: Martin Wein

Stattdessen schrauben, ölen und schweißen die Mitarbeiter im Depot und den Werkstätten dahinter lieber im Bestand. Besondere Aufmerksamkeit erhält natürlich die Zahnstange. Alle sechs Monate gehen Mitarbeiter die Strecke ab und schlagen mit einem Hammer auf jedes Zwischenglied. Am metallischen Klang können sie hören, ob die Verbindung noch sitzt. Sonst werden die alten Nieten durch eine Schweißnaht ersetzt. Auch die Zahnräder werden regelmäßig ausgemessen. Mehr als fünf Millimeter Spiel innerhalb der Zahnstangenlöcher sind nicht drin. Sonst droht eine Entgleisung. „Das passiert im Durchschnitt so einmal im Jahr“, sagt Nietispach ohne sonderliche Aufregung. Die Riggenbachsche Gegendruckbremse funktioniere auch dann zuverlässig. Nur mit der Ölkanne sei heute niemand mehr an der Strecke unterwegs. Das Ölen der Metallteile übernehmen die Triebwagen inzwischen automatisch.

Sommers wie winters rumpeln die Rigi-Bahnen in einer knappen Stunde auf den Gipfel und seit 1875 auch auf der anderen Seite wieder hinunter nach Arth-Goldau. Oben wartet ein modernes Hotel mit hervorragender Küche und philosophischen Seminaren. „Gipfel regen zum Denken an“, sagt Renate Käppeli, die in dritter Generation das Hotel Rigi Kulm führt. Vor den Fenstern klingeln die Glocken der Kühe. Und als der Herbstnebel für ein paar Minuten aufreißt, entblößt er ein Bilderbuchpanorama. Fast wirkt die Welt von hier oben noch so entrückt, wie Niklaus Riggenbach sie vor 150 Jahren seinen ersten Passagieren zeigte.

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