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„Frieden oder Krieg? Wählen Sie am 3. April!“ So titelte diese Woche die Gratiszeitung „Metropol“, die in Budapest an jedem S-Bahn-Eingang liegt. Der Absender: Viktor Orban.

Seit Beginn des Krieges in der benachbarten Ukraine sendet Ungarns nationalkonservativer Ministerpräsident klare Botschaften an die Wähler: Mit ihm gibt es keine Waffenlieferungen an die Ukraine, mit ihm gibt es kein Embargo gegen russisches Gas, er wird Ungarn aus dem Krieg heraushalten. Politische Beobachter halten es für möglich, dass gerade diese Positionen Orban an diesem Sonntag bei den Parlamentswahlen doch wieder den Sieg bescheren, nachdem es eine Zeit lang so ausgesehen hatte, als würde ein aus sechs Parteien gegründetes Oppositionsbündnis ihm den Rang ablaufen.

Orban (58) ist mit seiner rechtspopulistischen Partei Fidesz seit 2010 an der Macht und hat seitdem autoritäre Strukturen aufgebaut, Medien gleichgeschaltet und demokratische Mitbestimmung zurückgefahren. Er legte sich immer wieder mit der EU an, der er vorwarf, sich in Ungarns innere Angelegenheiten einzumischen. Brüssel wiederum kritisiert Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn und die missbräuchliche Verwendung von EU-Geldern, weshalb unter anderem seit Monaten die Auszahlung von Millionen aus dem Corona-Wiederaufbaufonds blockiert ist.

Sowohl die Regierung wie auch die Opposition haben im Wahlkampf den Krieg in der Ukraine aus unterschiedlichen Perspektiven nach vorn geschoben. Relative Einigkeit gibt es nur in der Frage, dass den Kriegsflüchtlingen geholfen werden muss.

Von dem kleinen ostungarischen Dorf Beregsurany sind es nur noch 500 Meter bis zur ukrainischen Grenze. Das Gemeindehaus des 500-Seelen-Ortes ist seit Wochen Anlaufpunkt für Kriegsflüchtlinge. Der ungarische Malteser Hilfsdienst hat Zelte und Feldbetten aufgebaut. Hier gibt es nach entbehrungsreicher Flucht ein Dach über dem Kopf, eine Dusche, ein Bett, Essen und Trinken. In Kisten stapeln sich warme Kleidung und Spielzeug für Kinder.

„Wir haben hier schon über 40.000 Menschen aufgenommen und ihre Weiterreise organisiert“, berichtet Malteser-Stützpunktchef Imre Szabjan. Anfangs kamen etwa 1200 Flüchtlinge pro Tag über den kleinen Grenzübergang, in Spitzenzeiten waren es 3000 in 24 Stunden. Dieser Ansturm hat stark nachgelassen, erläutert Szabjan. „Jetzt kommen noch etwa 300 bis 400 Menschen täglich.“ Es sind zumeist Frauen und Kinder. Allerdings seien zuletzt auch einige Männer aufgetaucht, die durch den Grenzfluss Theiss geschwommen sind. Nach der ukrainischen Mobilmachung dürfen Männer im wehrfähigen Alter von 18 bis 60 Jahren das Land nicht mehr verlassen.

Die Klavierlehrerin Ludmila Gudsalo (62) ist gerade mit ihrer Tochter Tamara (28) aus Kiew angekommen. „Es war schrecklich“, berichtet sie. „Die Bomben, acht Mal am Tag Alarm, wir danken Europa, dass wir hier sein dürfen“. Auf ihrem Schoß sitzt der Zwergschnauzer Fetr und unter der Bank hockt die Katze Gera. Die beiden Haustiere und ein kleiner Reisekoffer – das war alles, was sie auf die über 1000 Kilometer lange Flucht mitnehmen konnten. „Wir wollen nach Kroatien, dort haben wir Bekannte“, sagt Ludmila. „Wir wollen arbeiten und niemandem zur Last fallen.“

Im gut 300 Kilometer entfernten Budapest hat Andreas Siewert (51) einen leerstehenden Wohnblock angemietet und zum „Refugee-Hostel“ umfunktioniert. Jede Nacht kommen hier Autos mit ukrainischen Kennzeichen an, suchen Menschen Unterkunft. „Wir haben 300 Betten, und jeden Abend beschleicht uns die bange Frage, ob wir alle Schutzsuchenden unterkriegen“, erzählt Siewert, der in Berlin geboren und in Ungarn aufgewachsen ist. Er ist Gründer und Chef der Nichtregierungsorganisation (NGO) Migration Aid Budapest und schon seit sieben Jahren in der Flüchtlingshilfe engagiert.

Als er 2015 begann, fand er dafür bei der Orban-Regierung keinerlei Verständnis und wurde sogar angefeindet. Orban fuhr damals einen knallharten Kurs gegen „Migranten“, die zu dieser Zeit vor allem aus Syrien und dem Irak kamen. Unvergessen sind die Bilder vom überquellenden Keleti-Bahnhof in Budapest, wo es für die Menschen nicht mehr vor und nicht mehr zurück ging.

Orban weigerte sich, Flüchtlinge nach einem EU-Verteilerschlüssel aufzunehmen, und sagte, das Problem sei kein europäisches, sondern eine deutsches, denn die Migranten wollten alle nach Deutschland. In der Folge ließ Ungarns Regierung Hunderte Kilometer Grenzzaun zu Serbien und Kroatien errichten.

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„Bisher hat die Regierung immer von Migranten gesprochen, jetzt ist plötzlich von Flüchtlingen die Rede“, sagt Siewert. Auch habe sich plötzlich die Einstellung gegenüber Migration Aid geändert, „weil unsere Arbeit jetzt unverzichtbar ist“. Ohne die NGOs wäre die Situation nicht zu bewältigen, ist Siewert überzeugt.

Sein Refugee-Hostel ist für die meisten nur Zwischenstation. Nach zwei bis drei Tagen des Krafttankens geht die Reise weiter. Nach letzten Schätzungen hat Ungarn bislang etwa 500.000 Flüchtlinge aufgenommen.

Man geht davon aus, dass 90 Prozent weiterreisen in andere europäische Länder und nur 10 Prozent in Ungarn bleiben. Spekulative Berechnungen kalkulieren, dass von diesen 10 Prozent, also 50.000, etwa 30.000 bis 40.000 ethische Ungarn sind, die zumeist aus Transkarpatien stammen, einer historischen Region in der Westukraine, die früher einmal zu Ungarn gehörte und wo heute noch etwa 150.000 ethnische Ungarn leben.

Wenn diese Zahlen stimmen, würden auch sie Orban in die Hände spielen, denn die Integration der ethnischen Ungarn aus der Ukraine ließe sich gut als „Heimholung“ verkaufen, zumal es seit Jahren Spannungen wegen der durch Kiew eingeschränkten Ausübung von Sprachrechten für Minderheiten gibt. Orban legte deshalb sein Veto gegen eine fortschreitende Planung zur Nato-Mitgliedschaft der Ukraine ein.

Opposition stellt Orbans moskaufreundlichen Kurs heraus

Die Opposition hat im Wahlkampf Orbans jahrelangen moskaufreundlichen Kurs herausgestellt, der ihm den Ruf von Putins „Schoßhündchen“ einbrachte. Orban hat sich jedes Jahr mit Russlands Präsident Wladimir Putin getroffen, Verträge mit dem russischen Staatskonzern Rosatom über den Ausbau eines Kernkraftwerks geschlossen und mit Gazprom einen langfristigen Gasimportvertrag vereinbart. Ungarn bezieht 85 Prozent seines Gases und 60 Prozent seines Öls von Russland und ist damit noch viel abhängiger als Deutschland von russischen Energieimporten.

Die Opposition, die von dem konservativen Wirtschaftswissenschaftler Peter Marki-Zay als Spitzenkandidat angeführt wird, nimmt Orban als Putins „Trojanisches Pferd“ innerhalb der EU aufs Korn und stellt auf großflächigen Wahlplakaten die Frage: „Wollt ihr einen ungarischen Putin oder Europa?“

Der Wahlkampf lief von beiden Seiten als Antikampagne. Orbans Fidesz plakatierte große Fotos von Marki-Zay und zeigte im Hintergrund den ehemaligen ungarischen Ministerpräsidenten Fenrec Gyurcsany, der einst wegen Korruptionsvorwürfen, Lügen und umstrittener Polizeieinsätze stürzte und heute Chef der Partei Demokratische Koalition ist, die wiederum im Oppositionsblock gegen Orban eine wichtige Rolle spielt.

Selenskyj kritisiert Orbans putinfreundliche Haltung

Orbans putinfreundliche Haltung wurde ihm auch vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vorgehalten. In einer Rede vor dem Europäischen Rat fragte Selenskyj Orban, ob er eigentlich wisse, was in Mariupol los sei. Wenn ja, dann solle er mal in Budapest ans Donauufer gehen zu dem Mahnmal, das an die Juden erinnert, die dort 1944/45 vom faschistischen Kollaborationsregime erschossen worden sind.

Das war starker Tobak, den durchaus nicht alle Ungarn für gerechtfertigt halten. Aber György Polgar (65) sagt: „Orban ist eine Schande für Ungarn.“ Polgar hat wie Selenskyj jüdische Wurzeln und schreibt freiberuflich für jüdische Zeitungen. So hat er jetzt darüber berichtet, wie der Verband Jüdischer Gemeinden in Ungarn, Mazsihisz, wenige Stunden nach Kriegsbeginn in der Ukraine Hilfe organisiert und eine Hotline eingerichtet hat. Zielgruppe seien in erste Linie Juden gewesen, aber selbstverständlich werde auch anderen geholfen, sagt Polgar und lobt die große Hilfsbereitschaft der Ungarn, die es übrigens auch schon 2015 gegeben habe.

Oppositionsführer Peter Marki-Zay ist Katholik, Vater von sieben Kindern und parteiloser Bürgermeister der Stadt Hodmezövasarhely mit 47.000 Einwohnern. Er fuhr im Wahlkampf einen klar prowestlichen Kurs: „Nur die EU und die Nato können die Sicherheit Ungarns garantieren, nicht Orban“, sagte er vor Demonstranten in Budapest.

Bence Bauer, Direktor des Deutsch-Ungarischen Instituts am Budapester Mathias Corvinius Collegium, glaubt, dass sich am Ende die Argumente „neutralisieren“. „Die Opposition stellt die guten russischen Wirtschaftsbeziehungen von Orban heraus und prangert sie an, auf der anderen Seite suchen in Zeiten der Bedrohung viele Menschen Sicherheit und jemanden, der das Land sicher durch die Krise führt.“ Und da könne wahrscheinlich eher die Regierung punkten, zumal die Opposition über keinerlei internationale Erfahrung verfüge.

Die letzten Umfragen sehen Orban und seine Fidesz vor dem Oppositionsbündnis.

Von Jan Emendörfer/RND

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