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Auf Twitter trendet seit Freitagabend das Wort „Dänemark“. Das hat nicht etwa mit der aktuellen Nachrichtenlange im Land zu tun oder mit tollen Reisetipps für Nord- und Ostsee – sondern weil in dem sozialen Netzwerk noch immer ausufernd über die Rede der jüngsten Bundestagsabgeordneten Emilia Fester diskutiert wird.

Die 23-Jährige hatte sich am Donnerstag im Bundestag in einem emotionalen Wortbeitrag für die Impflicht ausgesprochen – und dabei zahlreiche Dinge aufgezählt, die sie als junger Mensch in den vergangenen zwei Corona-Jahren aus Vorsicht und Rücksicht nicht habe machen können: Club-Besuche, Museumsbesuche und Reisen ins Ausland. Nun wolle sie ihre Freiheit zurück, und der letzte Ausweg sei eben die Impfpflicht.

Inzwischen hat eine Gruppe radikaler Impfgegner das Instagram-Profil der 23-Jährigen ausgiebig durchwühlt und herausgefunden: Fester war wohl während der Pandemie offenbar doch im Ausland, genauer gesagt in Dänemark – das schreibt sie zumindest selbst in einem Post vom 28. Juli 2020. Der Entrüstungssturm ist somit erneut in vollem Gange, ein Ende scheint bisher nicht in Sicht.

Natürlich ist der Aspekt mit der Auslandsreise ziemlich albern und nur eine Randnotiz. Gesprochen werden sollte über den Beitrag der jüngsten Abgeordneten des Bundestags aber dennoch einmal – denn er hat noch ganz andere Probleme. Das wohl größte: Fester hilft mit ihrer Rede ausgerechnet denjenigen überhaupt nicht weiter, die in ihrem Redebeitrag adressiert werden: der Jugend. Da ist die kleine Flunkerei mit dem Ausland nur der Tropfen auf den heißen Stein.

„Generation Corona“ wird Werbethema

Aus irgendeinem Grund ist das Leiden der jungen Generation in der Corona-Pandemie in den vergangenen Monaten zu einem absoluten Kisch-Thema verkommen. Inzwischen muss die sogenannte „Generation Corona“ für alles mögliche herhalten. In emotionalen Instagram-Videos von Fernsehmoderatorinnen etwa, die keinen Lockdown wollen, in Werbespots für Discounter, die Weihnachtsprodukte verkaufen wollen, und jetzt auch noch in theatralischen Reden zur Impfpflicht – verpackt in schmalzigen Poetryslam-Texten und emotionalem Schauspiel. Wirklich geholfen hat der Jugend bislang aber kaum jemand, während sich die Probleme weiter häufen.

Den vorläufigen Höhepunkt erreichte all das im Dezember vergangenen Jahres. Da veröffentlichte der Discounter-Penny einen zu Tränen rührenden Werbespot, in dem eine Mutter ihren Sohn für seine verlorene Jugend bemitleidet, während im Hintergrund eine herzerwärmende Piano-Version von Bon Jovi‘s „It‘s my life“ läuft.

„Ich wünsche mir, dass du dich nachts heimlich rausschleichst“, dass „du die Schule schleifen lässt“, dass „du hier heimlich eine Party feierst“ und „dass du diesem Mädchen sagst, dass du sie liebst … und dass sie dir das Herz bricht“, heißt es etwa in dem Werbespot. Am Ende verspricht Penny ein Gewinnspiel mit „unvergesslichen Erlebnissen“.

Die Probleme liegen tiefer

Das Problem an Erzählungen wie dieser: Sie rühren zwar zu Tränen und verstärken die dahinterliegenden Werbeboteschaften – hinken aber inhaltlich gewaltig. Die Probleme der Jugend immer wieder anhand von geschlossenen Clubtüren und fehlenden Reisen und Liebesbeziehungen zu erzählen, ist viel zu kurz gedacht. Viele Probleme liegen deutlich tiefer als die plumpen Storys, die für die Werbebranche attraktiv sind.

Psychische Belastungen etwa, ausgelöst durch die Pandemie. Die Angst vor der Zukunft, Angst um Freunde, ein veraltetes Bildungssystem und Geldsorgen –insbesondere bei jungen Menschen aus sozialschwachen Familien. Die Bertelsmann-Stiftung hat diese und viele weitere Punkte in ihrer Studie „Jugend und Corona“ herausgearbeitet – und jetzt kommt auch noch der Krieg hinzu. Und über allem: das ständige Gefühl, von der Politik völlig überhört zu werden.

Aber wen interessieren schon komplexe Probleme – „Eines Tages, Baby“, schön klingen muss es. Und so schmetterte auch Emilia Fester in ihrer Bundestagsrede am Donnerstag in feinster Julia-Engelmann-Manier die immer gleichen rührseligen Phrasen von Corona und der Jugend in den Raum – nur diesmal eben für ihre ganz eigene Agenda.

Billig und anbiedernd

Fester zählt Dinge auf, die sie selbst als jüngste Abgeordnete im Bundestag wegen Corona nicht habe machen können – etwa die erwähnten Auslandsbesuche und Museumsbesuche (Funfact: Eigentlich waren sowohl Grenzen als auch Museen die meiste Zeit offen), um dann auf das Thema Impfpflicht umzuschwenken.

Hätten die „Feind:innen der Freiheit“ sich in der Zeit ihrer Einschränkungen impfen lassen, so wäre sie selbst nun wieder „frei“. „Ich habe mich nicht um ein Bundestagsmandat beworben, um im Bundestag dabei zuzusehen, wie meine Generation in Klimafragen Angst um ihre Zukunft haben muss, und parallel dazu in der Pandemie auch noch ihre Gegenwart verliert. Ihre Freunde, ihren Sport, ihre Bildung, ihre Reisen, ihren Spaß am Jung sein, das muss jetzt ein Ende haben“, so Fester.

Man kann so argumentieren – der Jugend dürfte das allerdings herzlich wenig helfen, im Gegenteil. Fester mag die jüngste Abgeordnete im Bundestag sein, sie wird allerdings im April bereits 24 Jahre alt. Fester ist demnach eine erwachsene Frau und das war sie, nebenbei bemerkt, auch schon vor zwei Jahren, als die Pandemie begann. Sich nun anzubiedern und mit 15-, 16-jährigen auf eine Stufe zu stellen, denen Corona tatsächlich mitten in die Teenager-Zeit gekracht ist, ist fast schon spöttisch.

Die Jugend will ernstgenommen werden

Ob die Jugend wirklich ihre Freiheit zurückbekommt, wird derweil wohl weniger die Impfpflicht entscheiden, sondern wahrscheinlich die nächste Corona-Variante mit Immun-Escape – sollte sie denn kommen. Das Virus hatte in den vergangenen zwei Jahren viele Überraschungen parat – nun zu suggerieren, mit der Impfpflicht sei alles erledigt, sind falsche Versprechungen an eine Generation, die man gar nicht halten kann.

Dass offenbar nicht alles in Festers Rede der Realität entspricht, macht die Sache dabei nicht besser. Den radikalen „Querdenkern“ spielt das nun in die Hände, wie sich in den sozialen Netzwerken zeigt. Und wie muss das alles eigentlich für einen Jugendlichen klingen, der tatsächlich noch nie im Ausland war – sei es wegen Corona oder gar aus finanziellen Gründen? Der wird sich anhand solcher Märchen wohl ziemlich veräppelt vorkommen.

Was die Jugend in diesen Zeiten tatsächlich gebrauchen könnte, wäre ein Politiker oder eine Politikerin, die sich tatsächlich mit ihren Problemen befasst. So allerdings wird die „Generation Corona“ einmal mehr für irgendeine Agenda vor den Karren gespannt – weil es gerade ganz gut passt. Und vor allem wird sie wieder einmal nicht ernst genommen.

Von Matthias Schwarzer/RND



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